Raphael Zimmerl, Wiener Umweltanwaltschaft
Anfang Juli lud das italienische Forschungsinstitut ENEA zu einer Fortbildung über aktuelle Entwicklungen in Europas Nuklearsektor ein. Zielpublikum waren Forschungseinrichtungen und öffentlicher Dienst. Dieses Jahr war auch die Wiener Umweltanwaltschaft mit dabei. Im Zuge des dreitägigen Programmes hatten 15 Forschungsinstitutionen Europas die Möglichkeit, aktuelle Forschungsergebnisse zu relevanten Themen im Nuklearbereich zu präsentieren. Unter anderem wurde über neueste Analysen von „Auslegungsüberschreitenden Unfällen“ (DEC_A) gesprochen.
Seit dem Unfall von Fukushima werden von AKW-Betreibern strengere Nachweise gefordert. Inzwischen muss auch gezeigt werden, dass ein Reaktor Unfallszenarien, bei denen zwei große Sicherheitssysteme simultan ausfallen, derart beherrschen kann, dass eine Kernschmelze verhindert wird. Dies ist einerseits für die Lizenzierung neuer AKW, aber auch für ältere Reaktoren relevant, da mit zunehmendem Verschleiß die Sicherheitsmargen geringer und Reaktortransienten häufiger werden. Die in Europa betriebenen AKW weisen ein Durchschnittsalter von knapp 40 Jahren auf. Von vielen Reaktoren wurde bereits ihre Lizenz verlängert, da sie die ursprünglich angenommene Lebensdauer erreicht haben. Aus materialwissenschaftlicher Sicht sprechen sich daher viele Nuklearexpert*innen gegen einen Weiterbetrieb von AKW über die ursprüngliche Lizenzierungsdauer aus.
Ein weiteres wichtiges Thema waren Small Modular Reaktors (SMR). SMR sollen die nächste Reaktorgeneration darstellen. An der Schulung war ein Forschungsinstitut beteiligt, dass an dem ersten Testreaktor eines Druckwasser-SMR, der aktuell in Argentinien erbaut wird, beteiligt ist. Laut der Nuklearindustrie sollen SMR sicherer, billiger und leichter zu bauen sein. Allerdings sind diese Behauptungen stark in Zweifel zu ziehen. Bis heute befindet sich noch kein Reaktor dieser Gattung in kommerziellen Betrieb. Die WUA hat in der Vergangenheit bereits detaillierte Untersuchungen hierzu angestellt.
Darüber hinaus wurde die Ukrainekrise angesprochen. Aufgrund der starken Abhängigkeit des europäischen Nuklearsektors von Russland ist aktuell ein Umdenken in der europäischen Nuklearbranche notwendig. Die EU hat ein Projekt ins Leben gerufen mit dem Ziel, Brennstäbe für russische VVER-440 Reaktoren herstellen zu können. Dies ist deshalb notwendig, da vor allem in Osteuropa eine Vielzahl dieser Reaktoren betrieben werden. An dem Projekt forschen Framatome (FRA), Westinghouse (USA) und weitere europäische Partner, um eine zeitnahe Lösung zu finden. Ziel dabei ist aber auch, die Barrierefunktion der Brennstabhüllrohre zu verbessern. Dadurch kann im laufenden Betrieb der Austritt von Spaltprodukten in den Kühlkreislauf reduziert werden, die im Falle eines Unfalles in die Umwelt gelangen könnten.