Die Wiener Umweltanwaltschaft hat sich in ihrer Funktion als Beauftragte des Landes Wien für nukleare Sicherheit auch mit dem Unfall im Kernkraftwerk Paks auseinandergesetzt und möchte die Wiener Bevölkerung über den ernsten Störfall vom 10. auf den 11. April 2003 aus eigener fachlicher Sicht informieren.
Chronolgie des Unfalls
Am 10. April 2003 wurde in der Reaktorhalle erhöhte Strahlung gemessen. Radioaktive Gase entwichen aus dem Reinigungssystem. Man schloss daher auf die mechanische Beschädigung der Hülle von mindestens einem Brennelement. Entsprechend der International Nuclear Event Scale (INES) wurde das Ereignis auf Stufe 2 als Störfall gestuft. Die radioaktiven Stoffe wurden zum Teil durch die Filteranlagen zurückgehalten, konnten aber über den Abluftschornstein auch in die Umwelt gelangen. Die Messstellen im Umkreis des KKWs Paks detektierten keine erhöhten Werte, da die emittierte Aktivität verhältnismäßig gering war. Besondere Maßnahmen etwa zur Evakuierung der Bevölkerung waren nicht notwendig. Mit einem automatischen SMS-Warnsystem wurden aber die zuständigen Stellen der Gemeinden im Umkreis von 30 Kilometern informiert.
Am 11. und 12. April wurde damit begonnen das Reinigungssystem zu öffnen und zu demontieren, um der Unfallursache nachzugehen. Am 16. April konnte das Reinigungssystem erstmals geöffnet werden - eine Spezialkamera wurde eingebracht. Es stellte sich heraus, dass die Mehrzahl der 30 Brennelemente durch mangelnde Kühlung überhitzt und stark beschädigt beziehungsweise angeschmolzen waren. Die Bewertung wurde von INES 2 auf INES 3 angehoben.
In der Folge wurde ein Folienzelt über dem Abklingbecken errichtet, um austretende radioaktive Gase getrennt vom Rest der Reaktorhalle zu behandeln und zu filtern. Innerhalb dieses Zeltes muss nun eine schrittweise Bergung der zerstörten Elemente erfolgen. Ein Team russischer Spezialisten wurde Ende April eingeflogen.
Messungen von Umweltorganisationen - etwa Global 2000 - ergaben im Umkreis des Kraftwerks Strahlenmesswerte von 0,1 Mikrosievert pro Stunde, was der natürlichen Hintergrundstrahlung entspricht.
Details zum Verständnis des Unfallhergangs
Zur Handhabung von abgebranntem Kernbrennstoff benötigt jeder Reaktor ein nahegelegenes Abklingbecken, in dem die aus dem Kern entnommenen Brennelemente für zirka drei Jahre zwischengelagert werden. In den Reaktorblöcken von PAKS befindet sich das Becken wenige Meter neben dem Reaktordruckbehälter und ist von diesem nur durch eine Unterwasserschleuse getrennt.
Direkt nach der Abschaltung des Reaktors werden noch ca. zehn Prozent seiner Leistung als Nachzerfallswärme freigesetzt. Um unter der eigenen hohen Radioaktivität nicht zu schmelzen müssen die entnommenen Elemente ständig gekühlt werden - in der Regel reicht hierfür ein leichter Kühlwasserstrom aus
Vom deutsch-französischen Konsortium Siemens-Framatome ANP wurde im Abklingbecken von Block 2 eine routinemäßige Reinigung von Brennelementen durchgeführt. Dafür wurden 30 abgebrannte Brennelemente in einem hermetischen Reinigungssystem eingeschlossen und mit Chemikalien gespült. Die Reinigungsbehälter befanden sich im Abklingbecken. Die Firma hatte diese Prozedur bereits zahlreiche Male ohne Zwischenfälle durchgeführt.
Einschätzung des weiteren Freisetzungsrisikos
Die Gefahr für eine Kritikalität - eine Kettenreaktion im möglicherweise auf einen Haufen abgesunkenen Kernbrennstoff - kann nicht völlig ausgeschlossen werden, ist aber nach unserer mit Experten des Institutes für Risikoforschung entwickelten Einschätzung aufgrund folgender Randbedingungen sehr unwahrscheinlich:
- es handelt sich nicht um neuen, sondern abgebrannten Brennstoff, der weniger leichtspaltbares Uran enthält
- Das Beckenwasser erfüllt nicht die Funktion eines Moderators, da Borsäure dosiert werden kann, welche als Neutronenfänger fungiert
- Das Material kann nun ständig beobachtet werden
Eine rasche und gewissenhafte Beseitigung der Unfallfolgen ist jedoch enorm wichtig. 30 Brennelemente repräsentieren immerhin zehn Prozent einer Reaktorbeladung und stellen somit ein gewaltiges radioaktives Inventar dar. Auch verhältnismäßig geringfügige Änderungen an Lage und Form der beschädigten Kassetten können zu erneuter Freisetzung radioaktiver Gase führen.
Da Ungarn bisher keine genauen Informationen über Befunde zum Brennstoffzustand und über die geplanten Beseitigungsmaßnahmen weitergegeben hat, ist eine klare Einschätzung des Risikos einer Kontamination von Flächen in Österreich derzeit nicht möglich. Dies mag ein Grund sein, warum die Strahlenschutzbehörde des Bundesministeriums für Land- und Forstwirtschaft, Umwelt- und Wasserwirtschaft sowie das Umweltbundesamt bisher keine Stellungnahmen zum Störfall in PAKS abgegeben haben.
Während die Kommunikation in Zeiten des unfallfreien Normalbetriebs zwar wichtig ist, aber keine Herausforderung darstellt, sollte über die Stärkung des Informationsaustauschs mit bilateralen rechtlichen Verbindlichkeiten nachgedacht werden. Denn gerade die Ausnahmesituationen sollten beherrscht werden, da diese den Informationsfluss überhaupt erst motivieren. An dieser Stelle ist auch die österreichische Politik gefragt, praktikable Modelle zu entwickeln, um den Forderungen Ausdruck zu verleihen.
Die Wiener Umweltanwaltschaft fordert folgende Maßnahmen
- Einen raschen Zugang zu den Untersuchungsergebnissen aus dem Reinigungsbehälter im KKW Paks für österreichische Stellen, da Teile Österreichs auch vom Risiko betroffen sein könnten.
- Eine offizielle Kritik der österreichischen Regierung an der mangelhaften Einhaltung der Informationspflicht Ungarns, die im bilateralen Abkommen zwischen Ungarn und Österreich vereinbart ist.
- Intensive politische Bemühungen um eine Novellierung des Abkommenstextes. Diese Novellierung soll in Zukunft sicherstellen, dass Österreich über alle Vorkommnisse - die auch nur in einem sehr geringen Ausmaß eine Auswirkung auf Österreich haben könnten - sofort und im selben Umfang wie die zuständige Nuklearbehörde informiert wird. Dies gilt natürlich auch für die bilateralen Nuklearinformationsabkommen mit Tschechien, der Slowakei, Slowenien, Deutschland und der Schweiz.
- Eine aktive Informationspolitik der zuständigen österreichischen Bundesbehörden für die Bevölkerung anhand des jeweiligen Wissensstandes. Im Internet konnten wir keinerlei Stellungnahmen von Behörden zum Störfall im KKW Paks finden, obwohl der Unfall sicherlich Besorgnis bei der Bevölkerung erzeugt hat
Resumee
Dieser Störfall zeigt neuerlich, dass die Gewinnung von Kernenergie eine Risikotechnologie ist, bei der es immer zu unvorhergesehenen Ereignissen kommen kann. Massive ökologische und gesundheitliche Schäden für große Gebiete können dabei nicht ausgeschlossen werden.
Wie auch immer sich der Störfall in PAKS weiterentwickelt, sicher ist bereits ein hoher finanzieller Schaden. Jeder Tag Stillstand von Reaktorblock 2 kostet dem Betreiber 50 Millionen Forint (zirka 200.000 EUR). Die Belastungen für die Unfallbeseitigung und eine sichere Einlagerung der beschädigten Brennelemente werden auf zirka 5 Millionen EUR geschätzt. Auch über mögliche gesundheitliche Beeinträchtigungen des Personals von Paks wurde bisher wenig verlautbart.