Der weltweite Trend zur Urbanisierung führt dazu, dass bis 2050 fast 70 % der Bevölkerung in Städten leben wird – darunter auch ein großer Anteil an Kindern. Zwar bietet das Leben in der Stadt Vorteile wie gute Bildungs-, Betreuungs- und Freizeitangebote, gleichzeitig aber auch erhebliche Belastungen: Luftverschmutzung, Lärm, Verkehr und Hitze wirken sich negativ auf Gesundheit, Psyche und Entwicklung von Kindern aus. In der Nachkriegszeit hat das Leitbild der autogerechten, funktionsgetrennten Stadt dazu geführt, dass aufgrund des zunehmend motorisierten Verkehrs Straßenräume gefährlicher wurden und Kinder dadurch aus dem öffentlichen Raum in Betreuungs- und Bildungseinrichtungen verdrängt wurden. In Folge dessen wurde der Bewegungsradius der Kinder weiter eingeschränkt, da sie viele Orte nicht mehr eigenständig erreichen konnten.
Gerade öffentliche Räume sind wichtig für die körperliche, soziale und kognitive Entwicklung, insbesondere das Wohnumfeld, in dem sich Kinder erstmals selbstständig bewegen. Nach einem deutlichen Anstieg der im Verkehr verunglückten Kinder in den 1990er Jahren, in Verbindung mit einem stärker werdenden Nachhaltigkeitsbewusstsein der Bevölkerung, wurden Rufe nach einer kindergerechten Umwelt und einer dementsprechenden Planung in Städten lauter. Heutzutage sind städtebauliche Ansätze, die eine Verkehrsberuhigung sowie eine Umverteilung der Verkehrsflächen zugunsten der Aufenthaltsqualität verfolgen, im Mainstream der Planung angekommen.
Was macht kindergerechte Planung öffentlicher Räume aus?
Kindergerechte Stadtplanung bedeutet, den öffentlichen Raum so zu gestalten, dass Kinder sich sicher, frei und selbstständig bewegen können. Dabei geht es nicht nur um klassische Spielplätze. Kinder nutzen viele verschiedene Orte: Baulücken, Hecken, Gehwege, Plätze oder ruhige Straßenecken. Sie eignen sich ihre Umgebung auf kreative Weise an – indem sie spielen, klettern, beobachten, entdecken oder Orte umgestalten. Diese Aneignung ist ein wichtiger Beitrag zu ihrer körperlichen und geistigen Entwicklung.
Ein kindergerechter öffentlicher Raum sollte folgende Voraussetzungen erfüllen:
- sicher sein – insbesondere im Hinblick auf den Verkehr,
- vielfältig nutzbar sein – für Bewegung, Spiel und Begegnung,
- zugänglich sein – wohnungsnah und selbstständig erreichbar,
- offen gestaltet sein – um Freiraum für Kreativität und Teilhabe zu bieten.
Diese Anforderungen decken sich stark mit den Zielen einer nachhaltigen Stadtentwicklung: weniger Autoverkehr, mehr Durchmischung, grüne Infrastruktur und klimasensible Gestaltung. Folglich kann das Konzept der kindergerechten Stadt als sinnvolle Ergänzung und Erweiterung der Nachhaltigkeitsziele von Städten gesehen werden.
© Alltagsräume von Kindern (Kogler, 2018)
Kinder als aktive Mitgestalter
Kindergerechte Stadtplanung kann nur dann gelingen, wenn Kinder und Jugendliche aktiv in Planungsprozesse miteinbezogen werden. Dabei geht es nicht nur darum, ihre Wünsche zu berücksichtigen, sondern ihre Perspektive als Expert*innen ihrer eigenen Lebenswelt ernst zu nehmen. Die UN-Kinderrechtskonvention macht deutlich: Kinder sind gleichberechtigte Mitglieder der Gesellschaft – mit eigenen Bedürfnissen und Rechten. Diese finden jedoch oft zu wenig Beachtung oder werden nicht gehört. Deshalb braucht es Strukturen, die die Beteiligung von Kindern verbindlich in kommunale Planungsprozesse integrieren.
Welche Vorteile bringt die Beteiligung von Kindern?
Die Beteiligung von Kindern bringt nicht nur einen Erkenntnisgewinn für die Planung, sondern ist auch ein Lernfeld demokratischer Mitgestaltung. Kinder sammeln wichtige Erfahrungen, die ihre Selbstwirksamkeit stärken und ihre Persönlichkeitsentwicklung fördern. Gleichzeitig profitieren Städte und Gemeinden von der kindlichen Perspektive, da Planungen durch ihren Input lebensnäher und effizienter werden – auch Fehlplanungen und damit verbundene Folgekosten lassen sich dadurch verringern bzw.vermeiden.
Laut der Arbeitsgemeinschaft Partizipation stärkt Beteiligung:
- die Identifikation mit dem eigenen Wohnumfeld,
- demokratische Kompetenzen,
- Eigenverantwortung und Engagement,
- den Dialog zwischen Generationen und sozialen Gruppen,
- gegenseitiges Lernen und mehr Akzeptanz unterschiedlicher Perspektiven,
- sowie die Kommunikation zwischen den Anspruchsgruppen im Stadtleben.
Damit Beteiligung tatsächlich wirksam wird, braucht es jedoch entsprechende Rahmenbedingungen. Eine klare Unterstützung durch die Verwaltung, passende Zeit- und Beteiligungsformate sowie eine stadtweite Beteiligungsstrategie sind dafür entscheidend. Besonders in der Planung öffentlicher Räume – etwa ihrem Wohn- oder Schulumfeld – können Kinder ihr Wissen konkret einbringen und so zu hochwertigeren, inklusiveren und nachhaltigen Lösungen beitragen. Für eine erfolgreiche Umsetzung ist eine enge Zusammenarbeit zwischen Fachstellen, Kinder- und Jugendeinrichtungen, Schulen sowie öffentlichen Auftraggebern erforderlich.
Kindergerechte Planung in Wien
In Wien wurden die Bedürfnisse von Kindern in der Stadtentwicklung in den letzten Jahrzehnten nur unzureichend berücksichtigt. Erst nach der Jahrtausendwende, mit dem Wechsel hin zum Leitbild der nachhaltigen Stadt, wurden die Erfordernisse für eine kindergerechte Stadt vermehrt in Stadtentwicklungsprozessen und –projekten integriert. Die 2019 erstellte Wiener Kinder- und Jugendstrategie setzte hierbei ein wichtiges politisches Bekenntnis die Perspektiven von Kindern ernst zu nehmen und Kriterien der kindergerechten Stadt in den Mainstream der Planung zu integrieren. Ein zentrales Merkmal der Strategie ist die umfassende Beteiligung im Erstellungsprozess: Über 22.500 Kinder und Jugendliche brachten sich in mehr als 1.300 Workshops ein und formulierten ihre Wünsche, Kritikpunkte und Ideen. Erst danach wurden die Dienststellen der Stadt eingebunden – ein bewusst ergebnisoffener Prozess, der von der Koordinationsstelle Werkstadt Junges Wien geleitet wurde. Aufbauend auf den Rückmeldungen wurden neun thematische Schwerpunkte definiert und rund 193 Maßnahmen entwickelt.
Zum öffentlichen Raum äußerten Kinder und Jugendliche klare Vorstellungen: Sie wünschen sich mehr Treffpunkte mit Sitzgelegenheiten, saubere WCs, Trinkbrunnen sowie vielfältigere und umweltfreundlich gestaltete Spiel- und Bewegungsräume. Auch der Wunsch nach weniger Autoverkehr, mehr Verkehrsberuhigung – etwa vor Schulen – und sichere Bedingungen für Radfahrende war deutlich. Das zeigt nicht nur ihr Bewusstsein für städtische Herausforderungen, sondern auch ihren Wunsch nach aktiver Mitgestaltung.
Aus diesen Anregungen, Ideen und Wünschen wurden unterschiedliche Maßnahmen abgeleitet. Insbesondere Alltagsräume von Kindern, wie beispielsweise das Umfeld von Schulen, Kindergärten und weiteren kinderbezogenen Freiräumen werden seitens der Stadt verstärkt in den Fokus genommen.
Umgestaltung Schulvorplatz Währing
Vor der „Bunten Schule Währing“ in der Schulgasse im 18. Wiener Gemeindebezirk wurde 2019 der Schulvorplatz umfassend neugestaltet. Ursprünglich war der Raum durch einen schmalen Gehsteig und eine Straße begrenzt. Der tieferliegende Schubertpark war durch einen Zaun abgegrenzt und nur über Umwege begehbar. Der Raum vor der Schule bot somit nur wenige Aufenthaltsmöglichkeiten und war zusätzlich durch die Straße begrenzt.
Auf Initiative der Schule und engagierter Eltern startete 2018 ein Planungsprozess mit Beteiligung der Kinder, Anrainer*innen und lokaler Betriebe. Zunächst wurden temporäre Maßnahmen getestet – etwa eine Einbahnregelung und autofreie Zeiten. Diese Phase zeigte das Potenzial des neu gewonnenen Freiraums auf und führte zur dauerhaften Sperrung des Bereichs für den motorisierten Verkehr.
Heute lädt der Platz zum Spielen und Verweilen ein: mit Sitzmöbeln, die auch als Kletterobjekte nutzbar sind und Hochbeeten zum Gärtnern. Eine weitere Maßnahme war die bessere räumliche Verbindung mit dem angrenzenden Schubertpark: Mauern wurden entfernt, eine Treppe zum tieferliegenden Park errichtet und dieser direkt an den Schulvorplatz angebunden. Die Möbel wurden vom Verein Greenlab gebaut, der arbeitslose Jugendliche ausbildet – ein zusätzliches soziales Plus.
Das Projekt zeigt auf, wie auf lokaler Ebene eine kindgerechte Umgestaltung erfolgen kann. Verkehrsberuhigung- und Sicherheit, die Schaffung neuer Orte des Spielens und des Austausches um die Lern- und Spielerfahrungen von Kindern zu fördern und Ihnen somit auch eine Aneignung dieses Raumes zu ermöglichen.
Eine nachhaltige Stadt für alle
Schlussendlich benötigt es eine Vielzahl kleinerer Maßnahmen, die in eine größere Strategie für eine kindergerechte Stadt eingebettet sind. Eine solche Stadtplanung fördert die Selbstständigkeit, Gesundheit und Teilhabe von Kindern. Gleichzeitig entfaltet kindergerechte Stadtplanung positive Wirkungen weit über die Zielgruppe hinaus: Sie unterstützt Umwelt- und Klimaziele durch die Förderung nachhaltiger Mobilität und grüner Infrastrukturen. Sie macht Städte insgesamt lebenswerter, sicherer und fördert das Miteinander verschiedener Generationen. Wenn Städte für Kinder funktionieren, funktionieren sie letztlich für alle.
Weiterführende Informationen:
- ARGE Partizipation (2022). Kinder- und Jugendbeteiligung
- ARUP (2017). Cities alive—Designing for urban childhoods.
- Aeschlimann, L., Friz, A., & Zemp, R. (2017). Handlungsempfehlung für die transdisziplinäre und partizipative Planung von Spielräumen für Kinder. Hochschule Luzern.
- Bertelsmann Stiftung (2008). „mitWirkung!“ in der Praxis. Erfahrungen – Ergebnisse – Erfolge.
- Blinkert, B. (1996). Aktionsräume von Kindern in der Stadt: Eine Untersuchung im Auftrag der Stadt Freiburg (Bd. 2). Centaurus-Verl.-Ges.
- Kogler, R. (2018). Kinderräume erkunden. Informationen zur Raumentwicklung, 2/2018, 40–51.
- Lehmann, D., & Apel, P. (2015). Freiräume für Kinder und Jugendliche. Das Zusammenwirken von Produkt, Prozess und Strategie als mehrdimensionaler Handlungsansatz. TU Dortmund.
- Reutlinger, C., & Brüschweiler, B. (2016). Sozialgeographien der Kinder – eine Spurensuche in mehrdeutigem, offenem Gelände. In R. Braches-Chyrek & C. Röhner (Hrsg.), Kindheit und Raum (1. Aufl., S. 37–64). Verlag Barbara Budrich;
- JSTOR. https://doi.org/10.2307/j.ctvddzwv7.4
- zwo PK (2019). Schulgasse. Zwopk.
- Werkstadt Junges Wien (2020). Die Wiener Kinder- und Jugendstrategie 2020—2025 (Stadt Wien, Hrsg.).
- Stadt Aufmöbeln (2020). SCHULVORPLATZ FÜR ALLE. Partizipativer Planungsprozess zur Neugestaltung der Schulgasse. STADT AUFMÖBELN.
© Foto: Schulvorplatz Schulgasse (Zwo PK, http://www.zwopk.at/sozial/)