Glas - der unsichtbare Vogeltod
Der Einsatz des Werkstoffes Glas erfreut sich zunehmender Beliebtheit in der modernen Bauwirtschaft - große Glasfassaden und Panoramafenster haben ein futuristisches Aussehen, erfüllen Räume mit viel Tageslicht (das ist angesichts der Klimaerwärmung durchaus kritisch) und sollen Naturnähe suggerieren - nicht bedacht werden bei all der Euphorie die negativen Auswirkungen dieser Entwicklung auf die Tierwelt. Kollisionen mit Glasflächen stellen eine unterschätzte Todesfalle und eine der häufigsten von Menschen provozierten Todesursachen für Vögel, sowie ein gravierendes Tierschutzproblem dar. Vielfach handelt es sich bei den Anprallopfern um geschützte Arten oder ohnehin bereits stark gefährdete Zugvögel. Spiegelungen von Himmel und Vegetation gaukeln den Tieren freie Flugbahn oder sichere Landeplätze vor und entstehen vor allem bei Fenstern und Glasfassaden. Aber auch Durchsicht durch freistehende Glasflächen (z. B. gläserne Lärmschutzwände, Geländer), verglaste Ecken (z. B. bei Wartehäuschen, Wintergärten) oder Verbindungsgänge werden von fliegenden Vögeln nicht als Hindernis erkannt.

glasbroschuere1 kleinDie neue Broschüre “Vogelfreundliches Bauen mit Glas und Licht” verschafft Klarheit

Während die Problematik Vogelanprall bei vielen in der Baubranche Tätigen noch gar nicht ins Bewusstsein gedrungen ist, sorgt eine Vielzahl unwirksamer, als Lösung angepriesene “Vogelschutz”-Maßnahmen und -markierungen am Markt (z. B. transparente, UV-Strahlung reflektierende Muster) bei bereits Interessierten für große Verwirrung und Verunsicherung. Außerdem werden in guter Absicht immer wieder wirkungslose Greifvogel-Silhouetten auf Glasflächen geklebt.

Da effektiver Vogelschutz der Wiener Umweltanwaltschaft seit jeher ein großes Anliegen ist, beteiligte sie sich intensiv an der Neuauflage der umfangreichen Broschüre “Vogelfreundliches Bauen mit Glas und Licht“ der Schweizer Vogelwarte, in Zusammenarbeit mit collabs//der Biologischen Station Hohenau-Ringelsdorf, dem Landesbund für Vogel- und Naturschutz (LBV) und dem Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland.

Die neue Broschüre führt glasklar vor Augen, unter welchen Bedingungen das Anprallrisiko am höchsten ist (z. B. naturnahe, gehölz- und vogelreiche Umgebung, in Ufernähe, bei Kunstlicht zur Vogelzugzeit etc.), zeigt sowohl Positivbeispiele (z. B. mattes, transluzentes, milchiges Glas, Sonnenschutzlamellen) als auch besonders gefährliche Negativbeispiele (z. B. dunkle Sonnenschutzfolien) auf, sowie Möglichkeiten, wie Vogelschutz und die Verwendung von Glas miteinander vereinbar sind.

Bestehende Vogelfallen mit wirklich wirksamen Markierungen entschärfen glasbroschuere3 klein

Bereits bestehende, unsichtbare, gläserne Todesfallen lassen sich nur durch das Anbringen von flächigen, deutlich sichtbaren und kontrastreichen Markierungen entschärfen, welche sich in standardisierten Prüfverfahren (Flugtunnel-Wahlversuche der Biologischen Station Hohenau-Ringelsdorf) als hochwirksam erwiesen haben. Test-Vögel haben in einem Flugtunnel die Wahl, auf eine unmarkierte Referenzscheibe oder die markierte Prüfscheibe zuzufliegen. Selbstverständlich nehmen die Tiere dabei keinen Schaden und werden nach ihrem Dienst für das Wohl der Vogelwelt wieder in die Freiheit entlassen. Die angewandten Prüfverfahren, um die Wirksamkeit von Markierungen bei spiegelnden Glasflächen (WIN-Test) oder bei Glasflächen mit Durchsichtsituation (ONR-Test) zu erproben, werden in der neuen Broschüre im Detail beschrieben, ebenso wie Kriterien für wirksame Vogelschutzmarkierungen und nicht empfehlenswerte, wirkungslose Markierungen und Maßnahmen. Markierungen müssen eine gewisse Mindestgröße aufweisen und kontrastreich sein (schwarz, rot, orange oder weiß), damit unsere gefiederten Freunde sie aus der Ferne und bei hoher Fluggeschwindigkeit noch rechtzeitig erkennen können. In Durchsichtsituationen als hochwirksam geltende Markierungen sind nicht zwangsläufig auch an spiegelnden Glasflächen am besten geeignet. Eine übersichtliche Tabelle listet je nach Situation (Spiegelung, Durchsicht) erprobte Markierungen auf - zu beachten ist, dass sich die Ergebnisse nur auf Glasflächen mit denselben Eigenschaften (Außenreflexionsgrad, Scheibenaufbau) übertragen lassen. Auch weitere Schutzmaßnahmen, wie das Spannen von Schnüren und Netzen (7 x 7 cm bei diagonaler Anbringung) mit mindestens 3 mm Dicke vor der Glasfläche oder andere kreative, flächige Markierungen mit witterungsbeständigen Fensterfarben, die keine Freiflächen höher als 5 cm und breiter als 10 cm zurücklassen, sind mögliche Optionen.

UV-reflektierende Markierungen wirken NICHT ausreichend

Heutzutage leider vielfach beworbene, UV-Strahlung reflektierende, transparente Markierungen schnitten in den Hohenauer Flugtunnel-Tests unter Einbeziehung von Spiegelungen (WIN-Versuch) bisher allesamt mangelhaft ab und sind nicht empfehlenswert. Einerseits verfügen viele Vogelarten (z. B. Spechte, Greifvögel, Limikolen, Tauben, Krähenverwandte, Mauersegler, Eisvögel, ...) nicht über UV-Wahrnehmung, andererseits scheint nach aktuellem Wissensstand die Reizverarbeitung im Flug bei hohen Geschwindigkeiten bei Vögeln generell UV-blind zu sein, womit die Wahrnehmung von UV-Licht bei den unbewusst ablaufenden, schnellen Ausweichreaktionen zur Kollisionsvermeidung vermutlich kaum eine Rolle spielt. Zudem sinkt die UV-Intensität und damit die Effektivität UV-reflektierender Markierungen in den Morgen- und Abendstunden, sowie bei Bewölkung und in beschatteten Bereichen.

Kunstlicht in Kombination mit Glas - eine verlockende Todesfalle

glasbroschuere2 kleinBeleuchtete Glasflächen (z. B. durch aus dem Innenraum dringendes Licht) verwirren und ziehen viele Vögel (z. B. Rotkehlchen) regelrecht an. Zugvögel, die sich unter anderem an Sternen orientieren, werden von ihren Routen abgelenkt – mit oft fatalen Folgen, wie todbringende Kollisionen oder energieraubende Irrwege um beleuchtete Hochhäuser herum.

Die Vermeidung sicherheitstechnisch nicht notwendiger Außenbeleuchtung und Lichtemissionen aus dem Gebäudeinneren (sehr einfach durch Jalousien verhinderbar) sind ein wichtiger Schritt zum Schutz der Vögel.

Die Broschüre “Vogelfreundliches Bauen mit Glas und Licht” stellt ein wichtiges Instrument für Architekt*innen, Planer*innen und eine Hilfestellung für Gutachter*innen und interessierte Vogelfreund*innen dar. Ein sparsamer Einsatz von Glas in der Bauphase, sowie die Berücksichtigung von Vogelschutzaspekten in der Planungsphase, erlauben eine wesentliche Kostenersparnis im Vergleich zur nachträglichen Entschärfung einer Vogeltodesfalle.

Mehr Informationen:

Broschüre "Vogelfreundliches Bauen mit Glas und Licht" 

Vogelanprall an Glasflächen - Geprüfte Muster, 2022, Wiener Umweltanwaltschaft

Copyright Fotos Ramona Cech, Vogel: Gilbert Jaros

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