Ratten sind in nahezu jeder Großstadt weltweit allgegenwärtig. Ihre hohe Anpassungsfähigkeit an das urbane Umfeld, das sich durch eine hohe Bevölkerungsdichte und eine gut ausgebaute städtische Infrastruktur kennzeichnet, bietet den Ratten zahlreiche Verstecke und Nahrungsquellen. Auch Wien sieht sich der Herausforderung gegenüber, eine effektive und umweltfreundliche Rattenbekämpfung sicherzustellen.
In städtischen Gebieten werden bevorzugt Rodentizide mit antikoagulanten Wirkstoffen eingesetzt, um Rattenpopulationen zu kontrollieren. Die Anwendung von Antikoagulantien ist mit Vorteilen verbunden: Dazu zählen einfache Handhabung und hohe Wirksamkeit. Obwohl diese Wirkstoffe hochwirksam gegen Nagetiere sind, ist ihr Einsatz mit erheblichen Umwelt- und Gesundheitsrisiken verbunden. Einer der wesentlichen Kritikpunkte an Antikoagulantien ist ihre Langlebigkeit in der Umwelt sowie eine mögliche Vergiftung von Nichtziel-Tierarten, die mit Antikoagulantien belastete Nagetiere fressen. Ergebnisse einer Studie des Umweltbundesamtes aus dem Jahr 2020 zeigen erstmalig für Österreich die weite Verbreitung und Belastung der Umwelt und Nicht-Zielorganismen, wie Fische, Greifvögel/Eulen und Füchse, mit ausgewählten Wirkstoffen von Nagetierbekämpfungsmitteln auf [1].
Die vom Technischen Büro Klade verfasste Rodentizidstudie untersuchte die in Österreich eingesetzten Antikoagulantien der ersten Generation (FGAR) und der zweiten Generation (SGAR) und bewertete ihr Gefährdungspotenzial. Zudem wurden potentielle Maßnahmen zur Reduktion des Eintrags dieser Wirkstoffe evaluiert. Die Analyse berücksichtigte dabei wesentlich die im Rahmen des EU-Chemikalienrechts (CLP- Verordnung, REACH) und der Biozidprodukteverordnung generierten Daten und Dokumente. So wurden die einzelnen Wirkstoffe hinsichtlich ihrer human- als auch ökotoxikologischen Gefährdung beschrieben und bewertet.
Sind alle Antikoagulantien gleichermaßen umweltgiftig?
Bei Nagetieren führt die Aufnahme von Antikoagulantien zu inneren Blutungen und innerhalb weniger Tage zum Tod. Dies liegt daran, dass Antikoagulantien strukturell dem Vitamin K ähneln. Sie stören gezielt die Bildung von Vitamin-K-abhängigen Gerinnungsfaktoren in der Leber, die für die Blutstillung notwendig sind [2].
Bei Antikoagulantien unterscheidet man zwischen Antikoagulantien der ersten Generation (FGAR) und der zweiten Generation (SGAR). Da letztere bereits bei einmaliger Gabe tödlich wirken, werden sie besonders gerne verwendet. Grundsätzlich gilt, dass Wirkstoffe der ersten Generation weniger toxisch wirken, aber auch weniger persistent und bioakkumulierend sind. Dagegen sind Wirkstoffe der zweiten Generation (mit hoher Marktrelevanz sind das Brodifacoum, Bromadiolon sowie Difenacoum) zwar hochwirksam, zeigen aber auch maximale Umwelttoxizität.
Die Rodentizidstudie versuchte die Frage zu beantworten, ob sich zugelassene Antikoagulantien der ersten & zweiten Generation hinsichtlich ihrer nachteiligen Wirkungen (d.h. Primär- und Sekundärvergiftung, Bioakkumulation, Persistenz) soweit unterscheiden, dass eine Empfehlung einzelner Wirkstoffe gegenüber anderen gerechtfertigt erscheint? Dabei kommt die Studie zum folgenden Ergebnis: Eine Differenzierung innerhalb der jeweiligen Wirkstoffgruppe (d.h. FGAR bzw. SGAR) erscheint nicht sinnvoll. Aus der Perspektive des Umweltschutzes erscheint es jedoch sinnvoll, Wirkstoffe der ersten Generation – beispielsweise Coumatetralyl – routinemäßig einzusetzen und erst bei hohen Befallsdruck oder Resistenzentwicklung als letzte Option auf hochgiftigen Wirkstoffe der zweiten Generation zurückzugreifen.
Wirksamkeit der Rodentizide ohne Antikoagulantien
Die Nutzung anderer Wirkstoffe zur Rattenbekämpfung, wie z.B. Cyanwasserstoff, alpha-Chloralose, Cholecalciferol usw., wird in der Studie ebenfalls analysiert. Die Untersuchung zeigt, dass die Wirkstoffe Phosphin und Cyanwasserstoff zwar akut toxisch und nur über die Gasphase wirksam sind. Im Vergleich zu den Antikoagulantien können sie in der Umwelt schneller abgebaut werden. Alpha-Chloralose ist ein Narkotikum, das in der Regel bei kleineren Organismen, wie Mäuse angewendet wird und eignet sich für die Rattenbekämpfung in Innenräumen. Ein weiteres mögliches Substitut für antikoagulante Wirkstoffe ist Cholecalciferol, dessen Wirkung verzögert eintritt. Der Vorteil ihrer Anwendung liegt darin, dass dieser Wirkstoff im Gegensatz zu den antikoagulanten Wirkstoffen eine kurze Verweildauer in der Umwelt aufweist. Den Einfluss auf das Hormonsystem bzw. endokrine Wirksamkeit bei Cholecalciferol muss jedoch beachtet werden, da sie ebenfalls zu Primär- und Sekundärvergiftungen führen können.
Alternative Lösungen zur Rattenbekämpfung müssen her
Die Bekämpfung von Ratten durch Anwendung von Antikoagulantien und anderen bioziden Wirkstoffen in Köderboxen ist eine wichtige, aber keineswegs die einzige und wichtigste Maßnahme in Zusammenhang mit einem erfolgreichen Rattenmanagement.
Die in der Studie recherchierten Beispiele im städtischen Umfeld verdeutlichen, dass verschiedene Faktoren die Entwicklung der Rattenpopulation im Zeitverlauf maßgeblich beeinflussen. Dazu zählen personelle Ressourcen, administrative Handlungsmöglichkeiten, die Einrichtung einer zentralen Anlaufstelle in der Stadtverwaltung, der intensive Kontakt mit der Bevölkerung sowie der Einsatz innovativer Monitoring-Technologien. Auch ein geeignetes Abfall- und Abwassermanagement spielt eine zentrale Rolle und wirkt sich letztlich auf den notwenigen Einsatz umweltbelastender Rodentizide aus. In der Studie zitierte Best-Practice-Städte zeigen, dass ein optimierter organisatorischer Rahmen die Effektivität der Rattenbekämpfung positiv beeinflussen kann.
Weitere Informationen:
Quellen
[1] https://www.umweltbundesamt.at/fileadmin/site/publikationen/rep0733.pdf
[2] Börner, H., Schlüter, K., & Aumann, J. (2009). Rodentizide. Pflanzenkrankheiten und Pflanzenschutz, 599-602.
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